Dr. Wolfgang Bergmann

Dr. Wolfgang Bergmann

Eltern und Kinder versus Einfluss der Staatsorgane in die Familien - Interview mit Dr. Wolfgang Bergmann

Interview mit Dr. Wolfgang Bergmann:

Eltern und Kinder versus Einfluss der Staatsorgane in die Familien

Romer:
Es geht um das Thema Kinder und wie liebevoll mit den Kindern umgegangen werden sollte, damit diese sich wohlfühlen. Sie haben vor einiger Zeit ausführlich zur Gehirnforschung Stellung genommen und die Ausschüttung des Liebeshormons Oxytocin als wichtigen Meilenstein für Kinder erwähnt, das eine Bindung zu den eigenen Eltern weiter vertieft.

Romer:
Können Eltern gegenüber den Kindern in irgendeiner Weise ersetzt werden?

Bergmann:
Die Einzigartigkeit der Mutter ist nicht zu ersetzen. Kinder führen dieses biotische Gefühl bis zu einem gewissen Grad halluzinativ in der Realität fort. Dafür brauchen Sie mütterliche Nähe. Kinder, die nach sechs Monaten oder früher über längere Zeitabstände von der Mutter getrennt werden, ohne Chance zu haben, eine genauso verlässliche Bindungsperson zu finden selbst dann wird es für das Kind schwierig - , stürzen in eine innere Leere. Zeit und Selbstwertgefühl zerreißen. Das kann eine kindliche Katastrophe bedeuten. Die Ersatzperson kann aber nie eine professionelle Erzieherin in einer Krippe sein, das ist unmöglich.

Romer:
Können Sie die Folgen einer solchen Katastrophe näher erläutern?

Bergmann:
Nehmen Sie beispielsweise Adoptivkinder, die schon wenige Tage nach der Geburt in eine liebevolle Pflegefamilie kommen. Diese Kinder erleben unter ungünstigen Bedingungen mit elf, zwölf Jahren eine Phase der tiefen Irritation, die eine „Hölle auf Erden“ bedeuten oder dazu anwachsen kann. Dieser frühe Riss ist nicht auszugleichen.

Romer:
Gibt es dazu aktuelle Studien?

Bergmann:
Die aktuell größte Studie aus den USA, zur frühkindlichen Bindung und Bindungsstörung, sagt, es sei bei den Ergebnissen von 2007 einfach nicht mehr zu übersehen, dass diese bindungsgestörten Kinder unruhiger und aggressiver sind. Aber schauen Sie mal auf die Diskussion rund um die Krippenplätze: Von den Kindern ist überhaupt nicht mehr die Rede. Das ist der gesellschaftspolitische Skandal.

Romer:
Was glauben Sie, ist der Grund dafür?

Bergmann:
Kinderfeindlichkeit. Unsere Kultur schert sich nicht um die Seelen von Kindern. Man darf dabei jedoch etwas Wichtiges nicht vergessen: Wir haben eine sehr liebevolle Mentalität zwischen Eltern und Kindern ausgebildet. Stünde das im Vordergrund, hätten wir eine andere Debatte. Es gibt allerdings - da dürfen wir die Augen nicht zumachen Konstellationen, in denen Kinder stundenweise von Mutter und / oder Vater getrennt sein können und pro Tag mindestens stundenweise in liebevolle andere Betreuung kommen. Vorzugsweise natürlich in die Betreuung von den eigenen Grosseltern oder anderen liebevollen Menschen. Gemeint sind hier Konstellationen mit seelisch kranken oder vernachlässigenden Eltern oder Elternteilen oder ähnliches mehr, die ihrerseits zu liebevollen Bindungen nicht oder kaum in der Lage sind. Nun glaubt man jedoch, für diese kleine Minderheit die anderen opfern zu können.

Romer:
Was müsste Ihrer Meinung nach passieren?

Bergmann:
Im Prinzip muss sich der Staat aus der Familie heraushalten. Überall, wo das mit den besten Absichten versucht wurde, führte es zu einem Desaster.

Romer:
Beim Anspruch auf einen Krippenplatz wurde offenkundig die freie Wahl des Erziehungsmodels vergessen?

Bergmann:
Das ist der entscheidende Punkt. Es gibt Mütter, die sagen, länger als acht Monate halte ich es zu Hause nicht aus. Für die Kinder dieser Frauen ist es gut, wenn es Krippen gibt. Aber nicht mehr, sondern bessere. Ein ganz wichtiger Punkt ist der Betreuungsschlüssel. Wir brauchen eine Erzieherin für zwei Kinder, maximal drei.

Romer:
Was ist dann die Rolle in der Auseinandersetzung, die die Staatsorgane einnehmen?

Bergmann:
Diese ist mir unverständlich. Unsere Staatsorgane verstricken sich in Organisations- und Finanzierungsfragen.

Romer:
Welche Rolle spielt die Gesellschaft, hat sie kein Interesse an Kindern?

Bergmann:
Eine Gesellschaft, der nicht von Ihren Grundgefühlen her das Herz aufgeht, wenn sie an Kinder denken, vernichtet etwas in sich. Das ist übrigens der Unterschied zur französischen Diskussion. Wer die französische Gesellschaft nur ein bisschen kennt, der weiß, Mütter sind hochangesehene Menschen. Ein Mann findet eine junge Frau, die ein Kind hat, attraktiv. Hier in Deutschland existiert der Eindruck, dass das Kinderkriegen extrem problematisch und mit hohen Opfern belastet ist.

Romer:
Was ist in diesem Zusammenhang über die Väter zu sagen?

Bergmann:
Ein Vater bekommt eine tiefere Bedeutung für sein Kind, wenn es anfängt, sich von der Mama zu lösen und der Welt zuzuwenden. Papa ist der notwendige Dritte. Er muss das Kind etwas von der Mutter weglotsen. Je liebevoller, je geduldiger er das macht, desto mehr orientiert sich das Kind an ihm. Die Mutter ist die Innigkeit der Gefühle, der Vater das Sehnsuchtsbild. Das kann aber nur ein gelassener und zugewandter Vater sein. Nicht ein gehetzter. Auch in einer relativ freundlichen Firma müssen sie schon einen sehr stabilen Boss haben, der sagt: "Ich finde das toll, wenn ein Vater um fünf nach Hause geht." Niemand wird so ausgebeutet wie Mütter oder Väter. Es ist fatal, wie die Wirtschaft die Bindung zwischen Kindern und Eltern zerreißt und wie wenig der Gesetzgeber dagegen Zeichen setzt.

Romer:
Ist in Deutschland die Wirtschaft kinderfreundlich?

Bergmann:
Diesen Diskurs hätte Frau von der Leyen völlig anders lenken können. Sie ist klug, attraktiv und angesehen genug. Da hat sie restlos versagt. Wir brauchen liebevolle Erzieher, nicht 15 oder 20 Milliarden. Wieso müssen wir das Land mit 30 Prozent Krippenversorgung sein? Wer soll denn da seine Kinder reinschicken? Frau Merkel hat mal gesagt: Die Krippe ist nicht die beste Lösung, aber wir finden keine bessere. Das war ein kluger Satz, wurde aber nie zitiert. Der Tenor im Land: Kinder sollen wegen frühkindlicher Bildung mit sieben Monaten in die Krippe geschickt werden, damit sie im Studium besser abschneiden. Was machen da ein paar Kindertränen? Gegen so eine Meinungsmacht kommt ein junges Paar doch nicht an.

Romer:
Was ist der Grund der Kinderfeindlichkeit?

Bergmann:
Das hat mit dem Fehlen einer freiheitlichen Kultur zu tun. Wir haben nie eine Revolution gehabt: Wir fixieren uns auf Modelle, die Staat und Bürokratie leisten können. Für das andere haben wir kein Empfinden.

Romer:
Was ist da zur Rolle der Institution Jugendamt zu sagen?

Bergmann:
Die Mitarbeiter der Jugendämter sind von Ihrer Mentalität, Verwaltungshoheit und Ausbildung kaum in der Lage in schwierigen oder Problemfamilien in jedem Fall hilfreich zu unterstützen.

Romer:
Eltern entfremden oftmals nach Trennung und Scheidung die Kinder dem anderen Elternteil. Beobachten Sie solchen Entfremdungen auch ausgelöst durch das Jugendamt? Stichwort: Entwertung eines Teils des Kindes?

Bergmann:
Ja solche Fälle sind auch mir bekannt

Herzlichen Dank, Herr Dr. Bergmann für dieses Interview
(Zitat Ende - Interview Franz Romer, Düsseldorf)

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Über Dr. Wolfgang Bergmann, Institut für Kinderpsychologie und Lerntherapie, Hannover
Wolfgang Bergmann ist diplomierter Erziehungswissenschaftler und leitet das Institut für Kinderpsychologie und Lerntherapie in Hannover. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern.
Gründer und Leiter pädagogisch -psychologischer Fachzeitschrift und Buchreihen im Beltz Verlag
Herausgeber des Buchperiodikums „Tumult“ mit Prof. Kamper (Berlin) und Prof. Baudrillard (Paris)
Chefredakteur der Wochenzeitung „Deutsche Lehrer Zeitung“
Mitglied des internationalen Expertenteams für den Aufbau des Art & science Zentrums“, Wien
Mitglied der Expertenrunde der Zeitschrift „Familie und Co.“
Medienpräsenz und Veröffentlichungen
Als renommierter Kinderpsychologe ist Wolfgang Bergmann häufig Interviewpartner und zu Gast bei RTL , ZDF, SAT1 oder N3. Parallel dazu erscheinen Aufsätze von ihm in deutschsprachigen Printmedien wie Stern, Focus, Die Zeit, Die Welt, Stuttgarter Zeitung oder Süddeutsche Zeitung.

Zitate aus der Presse
"Es ist die Verbindung von Zuwendung und Grenzen setzen, die als Zauberformel gilt - "Gute Autorität", nennt der Hannoveranische Erziehungswissenschaftler Wolfgang Bergmann dieses Konzept." Der Spielgel, 28/2003
„In seinen Büchern stehen zwar viele kluge Betrachtungen über die neuen Kinder. Aber Bergmanns oft erfolgreicher Umgang mit schwierigen Kindern und Jugendlichen ist mit Theorie allein nicht zu erklären.“ Zeit, Ostern 2003-07-01
„Sein Ratgeber ,Erziehen im Informationszeitalter’ wurde zum Bestseller.“ Stern
„Der renommierte Erziehungswissenschaftler versteht ,gute Autorität’ als Halt und Orientierung für die modernen Kindern.“ Familie und Co
„Eine Kapazität auf dem Gebiet der Erziehung.“ Schweizer Zeitung
„Die Medienkinder benötigen schützende Autorität, sagt Wolfgang Bergmann, selber Vater von drei Kindern.“ Focus

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